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Mittwoch, 7. März 2007

Tante Marie

Tante Marie

Meine Tante Marie war schon eine bemerkenswerte Person. Geboren wurde sie am 20.11.1914 als zweitjüngstes von 7 Kindern in einem kleinen Dorf. Ihr Haus lag etwas außerhalb am Waldrand, so dass sie einen weiten Weg hatte zur Ortsmitte, zur Schule und zur Kirche. Sie musste, wie es damals üblich war, schon sehr jung selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen und hat zeitlebens viel und hart gearbeitet.
Marie war eine optimistische, lebenslustige, dynamische Frau und sie hatte so ein wundervolles ansteckendes Lachen. Ihr Mann, mein Onkel Jhos, war genau das Gegenteil: Ruhig, besonnen, geduldig und bedächtig.
Sie war damals die einzige Frau in meinem Bekanntenkreis, die Moped fuhr. Mit 50 hat sie dann den Autoführerschein gemacht. Es klappte nicht auf Anhieb, aber sie ließ sich nicht entmutigen. Von da an kam sie mit ihrem roten Auto angebraust.
Sie konnte auch so wunderbare Handarbeiten machen. Jetzt kommt mir wieder die Erinnerung an den schönen rosa Pulli mit dem dunklen Häschen, den sie mir strickte als ich 7 war, und den ich noch immer tragen wollte, als ich nicht mehr hinein passte.
Tante Marie war eine furchtlose, ehrliche Frau, die mit beiden Beinen fest auf der Erde stand. Sie hat immer versucht, aus jeder Situation das Beste zu machen - ohne zu klagen.
Mit 38 Jahren starb ihre einzige Tochter an Krebs und hinterließ 3 unmündige Kinder, das Jüngste 4 Jahre alt. Marie nahm ihre kleine Enkelin Conny ganz zu sich und sorgte für sie: Kindergarten, spielen, später Schule, lernen, kochen, das volle Programm, da blieb die damals 64jährige jung und beweglich. Im Alter von 12 Jahren kehrte Conny zum Vater und den Geschwistern zurück, um die höhere Schule zu besuchen.
Nun war Marie wieder allein, ihr Mann war kurz nach der Tochter gestorben. Allein in ihrem Haus mit dem großen Garten, mit den wunderbaren Blumen und Früchten. Ich weiß nicht wieso, aber Erdbeeren schmeckten nirgendwo so gut wie bei Tante Marie.
Noch bis ins hohe Alter bestelle sie ihren Garten ohne fremde Hilfe: sie grub, pflanzte, schnitt Bäume und Hecken, mähte den Rasen und kochte leckere Marmelade.
Sie war ein richtiges Energiebündel, von dem ich mir noch manchmal eine Scheibe hätte abschneiden können, wie ich mir manchmal beschämt eingestehen musste.
Auch im Haus brauchte sie keine Hilfe. Noch mit 89 hat sie selbst die Küchendecke gestrichen. Als ich erschrocken fragte: Bist du denn auf die Leiter geklettert? antwortete sie:“ Ach, es war ja nur eine kleine, ein Treppchen. Ich konnte diese schmutzige Decke nicht länger ansehen“!

Vor 3 Jahren war sie im Krankenhaus. Sie war sehr krank und sah sehr schlecht aus. Ich fürchtete, dass sie nicht wieder auf die Beine kommen würde. Ihre Enkelin Conny kümmerte sich in der Zeit rührend um sie.
Aber Marie hatte einen unbändigen Lebenswillen und bald danach war sie fast wieder die Alte. Der Garten wurde etwas verkleinert und Hecken schnitt sie jetzt auch nicht mehr. Aber sie strickte weiter Decken für die Leprakranken. Unheimlich viele hat sie in ihrem Leben gestrickt. Und sie machte weiter ihre Besuche im Altenheim bei Bekannten, die weit jünger waren als sie. Sie fuhr immer noch Auto bis zum Alter von 90 Jahren. Unfallfrei! Der Arzt wollte ihr den Führerschein noch mal verlängern. Sie sagte mir:“ Man muss auch verständig sein. Mit 90 gehört man nicht mehr auf die Straße. Ich habe jetzt mein Auto verkauft“.
Tante Marie sah mit 90 noch recht gut aus, wirklich nicht wie eine alte Frau. Im Herzen war sie wirklich jung geblieben.
Sie starb vor einem Jahr mit 91 nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus. Tags zuvor hatte sie noch bei der Weihnachtsfeier mit den Ärzten und den Pflegern Sekt getrunken.

geschrieben von Annemarie (Luxembourg)

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